Die Latinos w�hlen links |
07.12.2002 |
Lateinamerika schaut nach links. Dies ist eine Reaktion auf das Scheitern des neoliberalen Konzepts. So bieten sich jetzt gute Chancen f�r Populisten.
KLAUS EHRINGFELD
MEXIKO-STADT (SN). Erst Lula in Brasilien, dann Gutierrez in Ecuador. Das Wahljahr 2002 hat der Linken in Lateinamerika eine unerwartete Renaissance beschert. Z�hlt man Venezuela und Chile hinzu, dann sind Sozialdemokraten und Sozialisten bald in vier der zehn gro�en Staaten S�damerikas an der Macht. In Bolivien konnte im August nur eine Not-Koalition aus den verfeindeten traditionellen Parteien verhindern, dass der linksgerichtete Gewerkschaftsf�hrer und Indio Evo Morales neuer Pr�sident des Andenstaates wurde. Noch vor zehn Jahren sah das ganz anders aus. Die Abwahl der Sandinisten in Nicaragua im Februar 1990 l�utete eine Dekade der Machtlosigkeit f�r die Linke in Lateinamerika ein. Diese Phase beendete erst der Wahlsieg von Hugo Chavez in Venezuela im Dezember 1998. Sieht man einmal von Kuba ab, dem einzigen kommunistisch regierten Land der westlichen Hemisph�re, waren die 90er Jahre die Zeit b�rgerlicher Regierungen mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. In vielen L�ndern diktierte der Internationale W�hrungsfonds (IWF) als Reaktion auf die Schuldenkrise weitestgehend die Politik.
Der Markt regiert auf Kosten der Armen
Strenge Haushaltskonsolidierung, Privatisierung und der Versuch, die nationalen Unternehmen wettbewerbsf�hig zu machen, waren der Dreiklang, dem fast alle Regierungen folgten. Sozialpolitik blieb da weitgehend auf der Strecke - auch weil der Schuldendienst oft letzte staatliche Reserven fra�. "Der Aufstieg der Linken in Venezuela, Brasilien und Ecuador ist beispielhaft f�r das Scheitern der neoliberalen Konzepte", sagt Reynaldo Ortega von der renommierten Hochschule Colegio de Mexico. Gesundheitsversorgung, Wohnsituation und Arbeitspl�tze - in diesen zentralen Bereichen habe keine Regierung nennenswerte Verbesserungen erzielt. Statistiken st�tzen Ortegas Aussage: Laut Erhebungen der Vereinten Nationen befinden sich viele Staaten Lateinamerikas auf dem Armutsniveau von vor 20 Jahren. Rund 220 Millionen Menschen gelten auf dem amerikanischen Subkontinent als arm. Allein in den vergangenen f�nf Jahren rutschten 20 Millionen unter die kritische Grenze. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate liegt bei rund zehn Prozent; Unterbesch�ftigung und "informeller Sektor", auf die ein Gro�teil der Menschen angewiesen sind, nicht eingerechnet. "Lateinamerika hat sich nie aus der Krise befreien k�nnen", betont Experte Ortega. Auch weil bei der Privatisierung der Staatsunternehmen Milliardenbetr�ge in den Taschen korrupter Politiker und Banker versickerten. So hat die neoliberale Dekade in Lateinamerika wenige reich und viele �rmer gemacht und damit den Aufstieg der Linken beg�nstigt. Profitiert haben davon vor allem undogmatische Populisten, die unvermittelt mit einer diffusen Mischung aus linker Ideologie und Nationalismus ins Rampenlicht traten und versprachen, das soziale Leid der gro�en Mehrheit der Bev�lkerung zu lindern. Insofern gleichen sich die Beispiele der Ex-Putschisten Hugo Chavez in Venezuela vor drei Jahren und Lucio Gutierrez j�ngst in Ecuador.
Gegengewicht zu USA soll Europa sein
In beiden Staaten und auch in Bolivien ging der Aufstieg der Linkskandidaten mit der Absage an die traditionellen, zumeist korrupten Parteien und ihre Politiker einher, die von der Bev�lkerung abgestraft wurden. In Brasilien verlief der Linksruck anders: Lula da Silva ist ein Berufspolitiker mit einer starken Partei im R�cken. Der Machtwechsel verlief somit im Rahmen des politischen Systems. Lula und Gutierrez sind klug genug, vor ihrem jeweiligen Amtsantritt im J�nner einen pragmatischen und vers�hnlichen Kurs zu steuern. Sie suchen mit IWF und den USA den Dialog und nicht die Konfrontation - mag sein, dass ihnen Chavez ein warnendes Beispiel ist. Der autorit�re und konfliktorientierte venezolanische Staatschef sieht sich seit einem Jahr massiven Protesten der Bev�lkerung und zunehmender Isolation im Ausland gegen�ber. Die Renaissance der Linken ver-�ndert die Machtverh�ltnisse auf dem amerikanischen Kontinent und setzt ein Gegengewicht zu den USA. Die von Washington forcierte kontinentweite Freihandelszone ALCA ist kein Selbstl�ufer mehr. Lula, Chavez und auch Gutierrez stehen dem Abkommen, das 2005 in Kraft treten soll, skeptisch gegen-�ber und f�rchten neue Nachteile f�r ihre nationalen Wirtschaften. Lula bezeichnete die ALCA im Wahlkampf als "Annexion Lateinamerikas durch die USA". Etliche Experten wollen nicht ausschlie�en, dass die drei Politiker eine alternative �ffnung nach Europa suchen.
� SN |
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